Eure hochwürdigste Exzellenz, hochwürdigster Herr Prälat, sehr verehrte Leiter des Bildungszentrums St. Virgil, sehr geehrter Herr Prof. Damisch, liebe Jurymitglieder, liebe Frau Dr. Gobiet, liebe Nicole Six & lieber Paul Petritsch sehr verehrte Damen und Herren,
es ist mir eine große Freude, anlässlich der Verleihung des zweiten, von der Erzdiözese Salzburg initiierten Kardinal-König-Kunstpreises an Nicole Six & Paul Petritsch erneut die Laudatio sprechen zu dürfen. Dies ist für mich eine besonders große Ehre.
Erneut möchte ich betonen, wie außerordentlich bedeutsam in der heutigen - in einer durch Sparzwänge charakterisierten - Zeit Preise für die Förderung gerade der zeitgenössischen Kunst geworden sind, stellen sie doch neben Stipendien eine wesentliche Möglichkeit zur freien künstlerischen Arbeit und Entwicklung dar. Bereits jetzt gehört der Kardinal-König-Kunstpreis zu den renommiertesten Preisen im deutschsprachigen Raum, erinnert er doch zum einen an den so überaus geachteten und der Kunst zugeneigten hoch verehrten Kardinal König, und ist er zum anderen mit 10.000,-- Euro sehr großzügig dotiert.
Mit dem Preis wird heute ein Künstlerduo ausgezeichnet, das sich in seinen Werken der Verortung des menschlichen Subjekts in Raum und Zeit widmet. Es ist die Einfachheit der künstlerischen Handlungen, deren Bedeutung im Vorgang selbst liegt, sowie die Zurückgeworfenheit der Protagonisten auf sich selbst, die in ihren Handlungen gefangen scheinen, welche in ihrer Radikalität der Darstellung dem Oeuvre von Nicole Six und Paul Petritsch eine eigenständige und besondere Qualität verleihen.
Vielen Anwesenden dürften einige der Arbeiten von Six & Petritsch vertraut sein, waren sie doch allein in Österreich in den letzten zwei Jahren durch Ausstellungen u.a. im Museum Moderner Kunst Stiftung Ludwig Wien, im Kunsthaus Bregenz, im Atelier im Augarten der Österreichischen Galerie Belvedere in Wien und der Camera Austria in Graz präsent.
Nicole Six wurde 1971 in Vöcklabruck, Paul Petritsch 1968 in Friesach geboren, sie arbeiten seit 1997 zusammen und leben in Wien. Ihre Medien sind Video, Fotografie und Installation. Ihren Arbeiten liegen immer Handlungen zugrunde, die sich über die Jahre zu einer Sammlung von Versuchsanordnungen entwickelt haben. Dokumentation und Archivierung spielen dabei für das Künstlerduo eine herausragende Rolle. Akribisch wird jedes Projekt von Six & Petritsch in Din A 4-großen Publikationen bildlich und textlich dokumentiert. In diesem Kontext müssen die umfangreichen, dünnseitigen Bücher „Fotoarchiv“ genannt werden, eine Abfolge von Fotografien in schwarz-weiß Ausdrucken ihrer Projekte in chronologischer Folge. Bislang gibt es zwei solcher Bücher, die wie ein Werkverzeichnis das komplette Oeuvre von 2001–2005 präsentieren und in ihrer Ausführlichkeit gleichzeitig wie ein bildliches Tagebuch fungieren. Dieses als work in progress angelegte Fotoarchiv dient gleichzeitig als Beleg und Selbstvergewisserung des Künstlerduos über ihr künstlerisches Arbeiten.
„Wie bewegen wir uns durch den Raum, wie fassen wir den Raum, und wie zeigen wir das?“ diese von Six & Petritsch zitierten drei Fragen zielen ab auf die Motivik, die Herangehensweise und die Präsentationsform ihrer künstlerischen Arbeiten, in denen sie den Körper – und zwar immer ihren eigenen Körper - in Relation zum Raum setzen. Grenzen zu finden, aber auch Begrenztheit zu überwinden, eigene Koordinaten und Maßstäbe zu entwickeln, bilden ihre Antriebskraft. Als Six & Petritsch ein Atelierstipendium in New York antraten, wählten sie die Schiffspassage, um die Geschwindigkeit ihrer Reise zu verlangsamen. Auf einem Frachter als einzige Passagiere hatten sie sechs Tage lang Zeit, um sich mental von einem Ort zu verabschieden und auf einen anderen vorzubereiten. Gleichzeitig setzten sie sich einem zunächst unveränderbaren Zustand aus, der sich durch eine andere Dimension, eine andere Zeit und andere Größenverhältnisse auszeichnete. Hier entstand die Idee, den als leer gefühlten Ort mit einer persönlichen Einschreibung zu füllen: jede 12 Stunden schickten sie eine Flaschenpost ins Meer, die genaue Aufzeichnungen über das Ziel der Reise, den kartografischen Ort und die Zeit enthielt, dokumentierten den Wurf der Flasche in das Wasser mit der Kamera und hinterließen so eine unsichtbare Spur. Eine solch subjektive, existentielle Erfahrung benötigt ein solch objektives Verortungssystem, um sie zu benennen und ihrer habhaft zu werden.
Das Experiment ging dabei das Risiko ein, dass auch das gewählte Ordnungssystem sich erneut in Raum und Zeit auflösen kann. Dennoch, einige Flaschenpostbriefe kamen zurück.
Diese Antworten nun, Landkarten mit Einträgen sowie 1500 Fotografien, „die zeigen, wie wenig passiert“, sind heute die Bestandteile der Arbeit „Longitude / Latidude“, die sich trotz bildlicher Abwesenheit der zentralen Präsenz des Künstlerduos versichert.
Die Unbegrenztheit bzw. Unfassbarkeit eines Raumes einerseits, zu dem sich das Subjekt eine Verhältnismäßigkeit und Verortung sucht, ist das immer wiederkehrende Motiv von Six & Petritsch. „Räumliche Maßnahme, aus einer Serie von Versuchen, den Raum zu öffnen“ heißt eine als Reihe angelegte Arbeit. Ein Film zeigt, wie ein Mann mit einer Spitzhacke ein Loch ins Eis schlägt. Nur dieser Mann belebt die unendliche Weite der Landschaft mit seinem absurden Tun. Unter großer Anstrengung schlägt er kreisförmig Löcher in die Eisdecke. Denn allein durch dieses Handeln kann er seiner Ausgesetztheit in die Endlosigkeit entgehen und sich in ein räumlich fassbares Verhältnis setzen. Nur so bestimmt er sich selbst als Zentrum eines kreisförmigen Ortes, auch wenn er sich damit sprichwörtlich selbst den Boden unter den Füßen wegzieht.
Die Suche nach Einschreibung in einen Raum nimmt scheinbar auch die eigene Selbstaufgabe in Kauf. So ist der dokumentierte Sprung in eine brachliegende Baustelle inmitten einer Häuserzeile zu bewerten. Paul Petritsch hat vom Nachbarhaus dieses Grundstückes aus ein Loch in die Brandschutzmauer geschlagen, gerade so groß, um mit dem Körper hindurch kommen zu können, und lässt sich in die Tiefe fallen. Das Loch im Eis und das Loch in der Mauer bleiben die von kurzer Lebensdauer zeichnerischen Verweise auf Handlungen, deren Ausgang sich in der Phantasie der Betrachter abspielt. Die leeren, unbelebten Orte aber erhalten durch das künstlerische Subjekt eine Bewertung. Der Sprung bzw. der Fall des Künstlers in die Leere stehen nicht unbeabsichtigt in der Tradition von Yves Klein oder Bas Jan Ader, für deren künstlerisches Verständnis ebenfalls entgrenzende Konzepte und Aktionen prägend waren.
Die immer wiederkehrenden Motive oder auch Konstanten, die das Werk von Six & Petritsch auszeichnen und unverwechselbar machen, sind der leere Raum, und das Beschreiben des Raumes durch Handlung. Sie dienen als Sinnbild einer physischen wie psychischen Verankerung, die der Betrachter als Vorstellung auf sich überträgt. Der Raum selbst wird definiert durch sein ungeahntes Verhältnis zur persönlichen Erfahrung des Menschen, als Ort, an dem die Frage nach dem Existenziellen erfahrbar wird.
Der Raum, die Handlung und das Dokumentieren bilden eine besondere Symbiose in dem Werkkomplex „Raumbuch“, das aus insgesamt drei Arbeiten besteht. Die Reise des Künstlerduos nach New York als ein Thema wurde bereits vorgestellt. Nun in New York im Atelier angekommen, erkundeten sie diesen Ort ihrer neuen Schaffenstätigkeit: Mit einem Blatt Papier in Din A 4 – Größe vermaßen sie den Raum, dessen Blatteinheiten 1:1 als fotografische Abzüge festgehalten wurden. Insgesamt 2478 Fotografien umfasst das so entstandene „Raumbuch“, das maßstabsgetreu das Mauerwerk des Ateliers mit jeder Unebenheit und mit allen baulichen Hinzufügungen wie Steckdosen und Lichtschalter abbildet.
Es ist das Erkunden, die genaue Beobachtung, die ein Wiedererkennen und damit eine räumliche Identifikation möglich macht. Erst diese Bewusstwerdung der eigenen Umgebung gibt der Existenz an diesem Ort Sinn. Auch wenn für den Betrachter nicht sichtbar, so stehen die handelnden Personen doch im Zentrum der Bildfindung. Die zweite Arbeit zeigt die physische Vergewisserung des Raumes durch einen performativen Akt. Der Körper der Künstlerin wurde dem Raum mithilfe von Baulatten eingepasst, und zwar so, dass Baulatte, Körper und Wand sich erst gegenseitig in Balance hielten. Der Körper als Material, die Einschreibung des Körpers in die Umgebung führen auch die so genannten Körperkonfigurationen von Valie Export weiter, die hier - in den Innenraum verlegt - den direkten physischen und psychischen Umraum des Subjekts spiegeln.
Die dritte zum diesem Werkkomplex gehörende Arbeit ist ein Video. Mit diesem Video „I`m too tired to tell you“ aus dem Jahre 2005 haben sich Six & Petritsch für den Kardinal König Kunstpreis beworben. Paul Petritsch ist als klassisches Brustporträt zu sehen, er schaut en face in die Kamera und zwar solange – bis er einschläft. Der Betrachter sieht dem Künstler dabei zu, wie er – gegen seinen Willen - müde wird, einschläft und von dem Heruntersacken seines Kopfes wieder wach wird. Es ist das intime, nicht repräsentative Porträt eines Künstlers, der vollkommen übermüdet sich kaum noch aufrecht halten kann.
Hier ist nicht jener Künstler dargestellt, der durch große Erfolge sein eigener Unternehmer geworden ist, aber auch nicht jener Künstler, der möglicherweise Müßiggang bevorzugt, es ist einfach ein erschöpfter Künstler, der sich selber nicht schont – und vermutlich viel zu viel gearbeitet hat. Und auch hier ist wieder die physische und psychische Präsenz im Raum das entscheidende Moment.
Six & Petritsch haben sich eine ganz eigene künstlerische Haltung erworben, die den Handlungsprozess der Verortung gleichwertig mit dem künstlerischen Endprodukt erscheinen lässt und somit das Performative zu einem integralen Bestandteil macht. Die Entmaterialisierung der Arbeit, die Handlung als konzeptuelle Strategie, die Präsenz der Künstler und die Repräsentanz des Kunstwerks bilden somit eine Einheit. Die Bezugsetzung des Subjekts zu Raum und Zeit, sowie ihre intensive Erfahrung der eigenen Lebenswirklichkeit schaffen auch für die Betrachter neue Dimensionen. Es ist die Leistung von Six & Petritsch für diese Orientierung eine visuelle Sprache gefunden zu haben.
Nun darf ich auch im Namen der Jury der großen Freude Ausdruck verleihen, dass Nicole Six & Paul Petritsch heute mit dem Kardinal König Kunstpreis ausgezeichnet werden. Mit diesem Preis wird ein schon jetzt sehr verdientes künstlerisches Werk mit einem immer noch hohen Entwicklungspotential gewürdigt.
Wir gratulieren dazu herzlich!
Buchpräsentation Mag. Moni Müry-Leitner, Leiterin des Verlages Anton Pustet
Vor einem Jahr haben wir im Pustet-Verlag mit Johannes Neuhardt dieses Buch gemacht: „Es klingt der Stein“. Es war die Arbeit daran ein Dialog: Und das Ergebnis waren auch: Dialoge mit Künstlern.
Einen solchen Dialog hat Johannes Neuhardt in dem genannten Buch u. a. mit Hans Schabus geführt, dem Preisträger des KKK 2005, den er bei diesem Anlass näher kennengelernt hat.
Es hat mich bei diesem Gespräch schon erstaunt, wie sehr sich Schabus in christliche Ikonografie und Kunst vertieft hat.
Originalton Schabus:
„Man muss sich vorstellen: 15. Jahrhundert, Isenheimer Altar, Matthias Grünewald. Mir hat es sämtliche Sicherungen durchgeknallt, als ich davorstand. Pop-Art im besten Sinne...Oder der Genter Altar von van Eyck? Damals war die Kirche eine Überwältigungsmaschine.
Ich habe mir die Kathedralen rund um Paris angesehen – Chartres, Reims, Amiens – , da fällt einem nichts mehr ein!“ Soweit Schabus.
Aus dem genannten Buch ist gewissermaßen der heute zu präsentierende Katalog hervorgegangen: denn, kurz nachdem es erschienen war, hat mir Johannes Neuhardt den Ball „Kunstpreis“ zugespielt, den ich gerne aufgenommen habe. So ergibt eins das andere, und es ist gut so.
Die Institution KKK ist somit in eine neue Dimension gekommen: in die der Dokumentation. Eine Ausstellung hat ja gewissermaßen nur existiert, wenn ein Katalog sie überlebt.
Der Dialog Kunst und Kirche ist nicht gerade in einem Form-Hoch. „Ich nehme mit großem Bedauern und mit großer Wehmut wahr, so Johannes Neuhardt, dass das Verhältnis von Kunst und Glauben ein Wackelkontakt geworden ist und dass man in zwei Etagen denkt und fährt, weil der eine vom anderen nichts weiß.“
Nun ist gerade Neuhardt ein Mensch, der den Dialog zwischen Kirche und Kunst – dieses große abendländische Gespräch – nicht nur punktuell weiterführt, pflegt und fördert, er ist ein Mensch, der diesen Dialog, die Neugierde an der Kunst und den Künstlern, lebt: So viel kunstoffenem, erfrischenden Geist, so viel Angstfreiheit auch im theologischen Denken bin ich selten begegnet! Ich sage das als Theologin, die oft selbst wie ein seltsames Gewächs betrachtet wird…
Es ist eine interessante Übung, sich mal alles wegzudenken an Kunst, was sich dem Christentum oder der Kirche verdankt. Das ist viel. Und dann denke man sich zusätzlich alles weg, was sich an Kunstschaffen – ex negativo – d. h. aus der Infragestellung, dem Distanzbedürfnis, ja der Ablehnung und auch des erbitterten Widerstands gegen Kirche und Religion verdankt. Das ist dann sehr viel …
Johannes Neuhardt könnte lange davon erzählen, welch weites Herz die Kirche für die Künstler im Laufe der Geschichte immer wieder hatte; die Orthodoxie war kein Kriterium für große und größte kirchliche Aufträge.
Interessant und ergiebig für beide Seiten ist vermutlich grade die Reibung, die Spannung zwischen Kunst und Kirche, das, was „zwischen“ ihnen steht, der Zweifel, die Klage und Anklage, die Provokation. Es geht nicht darum, glaube ich, diese Spannung aufzuheben in vordergründige Harmonie, sondern genau dieses Spannungsverhältnis zu pflegen.
Was Kunst und Kirche bei aller Reibung vielleicht auch verbindet, könnte das Anliegen des Primären, Direkten, des stimmigen Ausdrucks, des wahrhaftigen Moments sein. – Alles Seinszustände, denen mit mächtigen Mitteln zugesetzt wird.
Von seiten der Kirche wünsche ich mir noch mehr Angstfreiheit im neuhardt’schen Sinn, ein radikaleres Sich-Öffnen noch allem Menschlichen und Allzumenschlichen, ein Sich-Durchlüften-Lassen, auch von den Künsten. Von manchen Künstlern wünsche ich mir, dass sie nicht nur eine Freiheit von der Religion für möglich halten, sondern – aus Toleranzgründen – auch eine Freiheit zu ihr. Und von beiden: Dass sie noch wesentlich mehr voneinander wissen wollen!
Als Verlag können und wollen wir diesen Austausch voranbringen.
Die Kirche als Insitution tut heute sicher gut daran, vieles zu bewahren, zu prüfen, zu unterscheiden, auch Grenzen zu ziehen.. Den Künsten aber muss die Grenzüberschreitung eingeschrieben sein; denn auch der Glaube weht, wo er will, und nicht so selten auch außerhalb der Kirche…
Es gibt einen gewissen kirchlichen sowie einen antikirchlichen „Rassismus“ (und beide können weiß Gott viele gute Gründe auffahren). So wie die Kirche sehen muss, dass sie für viele nicht (mehr) die Tür zum Heil ist, so darf man von den der Kirche Abgewandten erwarten, dass sie die nicht abwerten und belächeln, für die sie das Heil oder das Sinnbild für Heil ist.
Die Kunst ist eine der letzten Möglichkeiten, Intimität erfahrbar zu machen. (H. Schabus nach Donald Kuspit). Denkraum öffnen…. Kirche als Überwältigungsmaschine….
Wer weiß, was sich nun daraus wieder ergibt…'